Der Vermis spielt eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung von Haltung und Gleichgewicht. Er integriert Informationen aus dem Vestibularsystem (Gleichgewichtsorgan) und der Propriozeption (Körperwahrnehmung) und generiert daraus motorische Kommandos, die uns auch in dynamischen oder unerwarteten Situationen stabil und koordiniert halten.
Eine aktuelle Übersichtsarbeit im Journal of Neuroscience
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/40399043/
liefert spannende Einblicke, wie unterschiedliche Regionen des Vermis zur posturalen Kontrolle beitragen – und stellt interessante Hypothesen vor:
1. Anteriorer Vermis
- Vermutlich besonders aktiv bei freiwilliger Bewegung (z. B. Gehen)
- Purkinje-Zellen in diesem Bereich unterdrücken möglicherweise Gleichgewichtsreflexe, die zielgerichtete Bewegungen behindern würden
- Sie könnten helfen, sensorische Informationen von einem kopfzentrierten in ein körperzentriertes Bezugssystem zu transformieren – entscheidend für Haltung und Koordination
👉 Beispiel: Beim Gehen würden ständige reflektorische Korrekturen den Bewegungsfluss stören. Der anteriore Vermis könnte diese Reflexe hemmen – für eine effiziente, zielgerichtete Fortbewegung.
2. Posteriorer Vermis (Nodulus und Uvula)
- Erhält afferente Signale sowohl aus den Otolithen als auch den Bogengängen
- Dient vermutlich der kontinuierlichen Erfassung der Körperorientierung relativ zur Schwerkraft – unabhängig davon, ob die Bewegung freiwillig oder unvorhergesehen ist
- Im Gegensatz zum anterioren Vermis hemmen die Purkinje-Zellen hier vermutlich keine Reflexe, sondern liefern ein stabiles internes Modell der Raumlage
👉 Beispiel: Stell dir vor, du stehst in einem schwankenden Zug. Auch ohne dich aktiv zu bewegen, muss dein Gehirn wissen, in welche Richtung dein Körper kippt – diese Information liefert der posteriore Vermis.
Fazit
- Die Autor:innen schlagen eine funktionelle Differenzierung vor:
- Der anteriore Vermis könnte bei freiwilligen Bewegungen Gleichgewichtsreflexe gezielt hemmen, um zielgerichtete Motorik zu ermöglichen
- Der posteriore Vermis könnte unabhängig vom Bewegungstyp eine kontinuierliche, referenzstabile Orientierung im Raum bereithalten
Diese Hypothesen könnten erklären, wie das Kleinhirn Stabilität und Beweglichkeit gleichzeitig gewährleistet. Ein spannendes Feld für zukünftige Forschung.