Vestibuläre Erkrankung

Persistierender postural-perzeptiver Schwindel (Englisch: Persistent Postural-Perceptual Dizziness [PPPD])

Diese Informationen sind als allgemeine Einführung in dieses Thema gedacht. Da jeder Mensch anders von Gleichgewichts- und Schwindelproblemen betroffen ist, solltest du mit deinem Arzt oder deiner Ärztin sprechen, um dich individuell beraten zu lassen.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird das generische Maskulinum verwendet und auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Die in dieser Patienteninformation verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.

Was ist persistierender postural-perzeptiver Schwindel?

Persistierender postural-perzeptiver Schwindel (PPPD) ist die häufigste Ursache für chronischen (lang anhaltenden) Schwindel. Er ist in der Regel behandelbar, vor allem wenn er frühzeitig diagnostiziert wird.

Normalerweise wird PPPD durch einen Schwindelanfall ausgelöst. Nach diesem ersten Anfall hat die Person weiterhin Gefühle von Bewegung, Schwindel, Unsicherheit oder Benommenheit, die stunden- oder tagelang andauern können. Diese Symptome treten fast immer auf, können aber mal besser und mal schlechter sein. Aufrechtes Sitzen und Stehen sowie komplexe Muster und Bewegungen verschlimmern die Symptome oft. Deshalb haben Menschen mit PPPD oft Angst, das Gleichgewicht zu verlieren oder zu stürzen. Sie vermeiden möglicherweise Situationen, die ihre Symptome verschlimmern, bis zu dem Punkt, an dem sie anfangen, ihr Leben stark zu beeinträchtigen.

PPPD kann für Betroffene sehr frustrierend sein. Viele Fachkräfte im Gesundheitswesen kennen sich mit Schwindel nicht gut aus, und die Symptome von PPPD können vage und schwer zu beschreiben sein. Dadurch wird die Krankheit oft lange Zeit nicht diagnostiziert und viele Betroffene erhalten zudem falsche Diagnosen (wie z. B. zervikaler Schwindel), die zu noch mehr Verunsicherung führen. PPPD kann die Arbeit, die Schule, die Freizeit und das Familienleben stark beeinträchtigen.

PPPD wurde 2015 als Störung definiert. Davor wurden verschiedene Bezeichnungen für Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen verwendet, darunter phobischer Schwankschwindel, funktioneller Schwindel, visueller Schwindel und chronischer subjektiver Schwindel.

Forscher sind sich nicht sicher, wie viele Menschen genau an PPPD leiden. Einige Studien deuten jedoch darauf hin, dass bis zu 25% der Betroffenen, die eine vestibuläre Störung wie eine Neuritis Vestibularis, Morbus Menière oder einen gutartigen paroxysmalen Lagerungsschwindel (BPLS) haben, später PPPD entwickeln.

PPPD kann gleichzeitig mit einer anderen vestibulären Störung auftreten. Zum Beispiel kann jemand sowohl an Morbus Menière als auch an PPPD leiden. Und manche Menschen mit Morbus Menière entwickeln vielleicht nie PPPD.

PPPD scheint häufiger bei Frauen aufzutreten und entwickelt sich oft zwischen 20 und 50 Jahren.

Zusammenfassung

Wodurch wird ein persistierender postural-perzeptiver Schwindel verursacht?

Das Gleichgewichtssystem des Gehirns kombiniert Informationen aus vielen Quellen, darunter:

  • das vestibuläre System (die Bogengänge und Maculaorgane im Innenohr), welche Kopfbewegungen und Kopfbewegungsgeschwindigkeiten wahrnimmt
  • das visuelle System, welches die Bewegung deiner Umgebung wahrnimmt
  • das propriozeptive System, welches Signale über Position, Druck, Bewegung und Vibration von den Beinen und Füßen und dem Rest des Körpers wahrnimmt

Normalerweise nimmst du all diese verschiedenen Informationsquellen nicht bewusst wahr. Das Gleichgewichtssystem kombiniert sie für dich im Hintergrund und du kannst stehen, gehen oder deinen Kopf drehen, ohne darüber nachdenken zu müssen, wie du dein Gleichgewicht halten kannst. Aber mit PPPD ist die Wahrnehmung nicht mehr nahtlos. Du fängst an, die verschiedenen Signale zu bemerken, besonders wenn sie nicht alle miteinander übereinstimmen. Das kann dazu führen, dass du das Gefühl hast, dass du dich bewegst oder zu fallen drohst, obwohl du still stehst.

Wenn das Gehirn denkt, dass du in Gefahr bist zu fallen, reagiert es automatisch, um dich zu schützen. Denk daran, wie du dich fühlst, wenn du auf Eis gehst oder auf einer Leiter stehst: Dein Körper wird steif, du machst kürzere Schritte und konzentrierst dich darauf, aufrecht zu bleiben. Gleichzeitig nutzt das Gleichgewichtssystem weniger Informationen aus dem vestibulären System und mehr aus dem visuellen System. Normalerweise kehrt das Gleichgewichtssystem in den Normalzustand zurück, wenn die Gefahr eines Sturzes vorüber ist. Aber bei PPPD bleibt das Gehirn stattdessen im „Hochrisikomodus“. Dadurch entsteht ein Teufelskreis:

  • Du machst dir Sorgen, dass du stürzen könntest und achtest mehr darauf, dein Gleichgewicht zu halten.
  • Das Gehirn bleibt in Alarmbereitschaft und verlässt sich mehr auf visuelle Reize.
  • Visuelle Signale wie schnelle Muster und Bewegungen deuten darauf hin, dass du Gefahr läufst zu fallen.

Diese Beschreibung mag den Anschein erwecken, als sei PPPD „nur in deinem Kopf“, aber die Symptome sind real. PPPD hat einige Gemeinsamkeiten mit Angststörungen, ist aber keine psychische Störung. Einige Studien haben Unterschiede in der Gehirnaktivität von Menschen mit PPPD im Vergleich zu Menschen ohne PPPD festgestellt. Diese Unterschiede können es dem Gehirn erschweren, verschiedene Informationsquellen zu integrieren und Gefahren richtig einzuschätzen.

PPPD wird in der Regel durch eine erste Episode von Schwindel oder Gleichgewichtsstörungen ausgelöst. Diese erste Episode kann durch viele verschiedene Ursachen ausgelöst werden, die das Gleichgewichtssystem stören, wie z. B:

  • eine vestibuläre Störung wie:
    • Morbus Menière
    • Neuritis Vestibularis
    • Gutartiger paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS)
    • Isolierte Otolithenfunktionsstörung
  • Vestibuläre Migräne
  • leichtes Schädel-Hirn-Trauma (SHT)

Die erste Episode von Schwindel oder Gangunsicherheit kann auch durch ein psychologisches Ereignis verursacht werden, z. B. durch Angst oder eine Panikattacke. Panikattacken und Angstzustände können körperliche Symptome wie Schwindel, Benommenheit, schneller Herzschlag, Kurzatmigkeit, Schwitzen, Zittern, Muskelverspannungen, Müdigkeit oder Übelkeit hervorrufen.

PPPD kann verschiedene Symptome hervorrufen, darunter:

  • Schwankschwindel (als ob du schwankst oder schaukelst, auch wenn du still sitzt oder stehst)
  • Vage, diffuse Benommenheitsgefühle (als wenn man leicht alkoholisiert wäre)
  • Stand- und Gangunsicherheit
  • Leichte dissoziative Störung (z. B. das Gefühl, "neben sich zu stehen" oder zu schweben)

Diese Symptome treten an den meisten Tagen für mindestens drei Monate auf. Sie können stundenlang andauern. Sie müssen aber nicht jeden Tag auftreten.

Vielen Menschen mit PPPD fällt es schwer, ihre Symptome zu beschreiben. Sie fühlen sich oft "nicht klar im Kopf", "benebelt" oder nicht wie sie selbst.

Menschen mit PPPD fühlen sich oft schlechter, wenn:

  • sie aufrecht stehen oder sitzen
  • sie Bewegung sehen, z. B. beim Scrollen auf dem Handy, beim Fernsehen, beim Beobachten des Verkehrs oder wenn viele Menschen um sie herumlaufen
  • sie komplexe Muster sehen, wie zum Beispiel einen gemusterten Teppich, eine Tapete oder einen Supermarktgang
  • sie zu Fuß oder im Auto unterwegs sind

Die Symptome werden manchmal schlimmer, wenn die Person müde ist oder den Symptomen mehr Aufmerksamkeit schenkt, und besser, wenn die Person abgelenkt ist. Die Symptome sind in der Regel hartnäckig und halten lange an.

Das Muster der Symptome kann leicht unterschiedlich sein, je nachdem, was den PPPD ursprünglich verursacht hat:

  • Wenn sie durch ein akutes Problem oder ein episodisches Problem verursacht wurde, können die PPPD-Symptome beginnen, wenn sich das ursprüngliche Problem bessert. Die Symptome können zunächst kommen und gehen und langfristig chronisch werden.
  • Wenn die Ursache ein chronisches Problem ist, können sich die PPPD-Symptome langsam entwickeln und allmählich schlimmer werden.

Menschen mit PPPD können auch andere Probleme entwickeln, wie z. B.:

  • Nackenverspannungen
  • Erschöpfung und Müdigkeit
  • Sturzangst
  • Angst oder Vermeidung von Situationen, die Schwindel auslösen, wie z. B. überfüllte Orte oder das Haus zu verlassen

Diagnose des persistierenden postural-perzeptiven Schwindel

PPPD kann von einem auf Schwindel spezialisierten Facharzt wie einem Neurologen, einem HNO-Arzt oder einem Psychologen diagnostiziert werden.

Es gibt keinen Test, der spezifisch für PPPD ist. PPPD ist jedoch keine Ausschlussdiagnose: Die Diagnose wird nicht gestellt, weil keine andere Ursache für die Symptome gefunden werden konnte. Die Diagnose wird anhand von klinischen Kriterien gestellt.

Diese spezialisierten Ärzte werden eine gründliche Anamnese erheben, eine neurologische Untersuchung und verschiedene Tests, um die Funktion deines vestibulären Systems zu beurteilen, durchführen.

Möglicherweise werden bei dir einige der folgenden diagnostischen Tests durchgeführt:

  • Allgemeine körperliche Untersuchung
  • Vestibuläre Funktionsuntersuchung
  • Gleichgewichtstests
  • Bluttests
  • Bildgebung (CT- oder MRT-Scans)

PPPD kann mit anderen vestibulären Störungen wie Morbus Menière oder vestibuläre Migräne auftreten. Deshalb sollte dein Arzt auch nach Anzeichen für auslösende Erkrankungen suchen.

Um eine PPPD-Diagnose zu erhalten, muss eine Person alle der folgenden Symptome aufweisen:

  • Ein oder mehrere Symptome von Schwindel (nicht Drehschwindel eher Schwank- oder Benommenheitsschwindel) und Gangunsicherheit an den meisten Tagen seit mindestens drei Monaten. Die Symptome halten stundenlang an, können aber in ihrer Schwere zunehmen und abnehmen. Die Symptome müssen nicht ununterbrochen den ganzen Tag über vorhanden sein.
  • Anhaltende Symptome treten ohne spezifische Provokation auf, werden aber durch drei Faktoren verschlimmert: (A) Aufrechte Körperhaltung, (B) aktive oder passive Bewegung unabhängig von der Richtung oder Position und (C) bei bewegten visuellen Reizen oder komplexen visuellen Mustern.
  • Die Störung wird durch Ereignisse ausgelöst, die Schwindel, Benommenheit, Gangunsicherheit oder Gleichgewichtsprobleme verursachen. Dazu gehören akute, episodische oder chronische vestibuläre Erkrankungen, andere neurologische oder medizinische Erkrankungen und psychische Belastungen.
  • Die Symptome verursachen einen erheblichen Leidensdruck oder Funktionseinschränkungen.

Die Symptome lassen sich nicht besser durch eine andere Krankheit oder Störung erklären.

Behandlung von persistierenden postural-perzeptiven Schwindel

Sobald die Diagnose feststeht, besteht der erste Schritt der Behandlung darin, zu verstehen, wodurch PPPD verursacht wird und warum das Gehirn auf normale Signale überreagiert, als ob du in Gefahr wärst. Wenn du verstehst, wodurch deine Beschwerden verursacht werden, wirst du dich in der Lage fühlen, die Kontrolle zu behalten und an der Behandlung mitzuwirken.

Die Behandlung von PPPD beinhaltet in der Regel eine „Umschulung“ deines Gehirns durch eine Kombination aus vestibulärer Rehabilitation, Strategien gegen Angst, wie z. B. Medikamente und kognitive Verhaltenstherapie (KVT). Du kannst auch von Entspannungsübungen für deinen Nacken und deine Schultern profitieren. Im Idealfall hast du ein Behandlungsteam aus Gesundheitsfachkräften, die zusammenarbeiten, um dir zu helfen. Denke daran, dass sowohl die vestibuläre Rehabilitation als auch die KVT viel Übung und Einsatz erfordern. Deine Therapeuten werden dir die nötigen Techniken beibringen, aber du bist derjenige, der sie anwendet.

Therapieoption

Die vestibuläre Rehabilitation ist eine übungsbasierte Therapie gegen Schwindel. Ihr Ziel ist es, deinem Gehirn zu helfen, das Gleichgewicht wieder zu erlernen und auf die Signale des visuellen und vestibulären Systems zu reagieren. Ein zertifizierter IVRT® Schwindel- und Vestibular-Therapeut mit Erfahrung im Bereich PPPD kann dir dabei helfen, Behandlungsziele festzulegen und ein individuelles Programm für deine Bedürfnisse zu entwickeln.

Es ist sehr wichtig, schrittweise mit den Übungen zu beginnen und sie langsam und stetig zu steigern.

Wenn du zu früh zu viel tust, kann das die Symptome des PPPD verschlimmern. Der zertifizierte IVRT® Schwindel- und Vestibular-Therapeut überprüft deine Fortschritte. Die Häufigkeit, Dauer und Komplexität der Übungen werden je nach deiner Reaktion schrittweise erhöht. Die Behandlung kann sich über mehrere Monate erstrecken

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Therapieoption

Dein Arzt kann beschließen, deinen PPPD mit Medikamenten zu behandeln. Beachte, dass Medikamente allein die PPPD-Symptome in der Regel nicht vollständig lindern. Es können zwei Arten von Antidepressiva eingesetzt werden:

  • SSRIs (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer), darunter Fluvoxamin, Paroxetin und Sertralin
  • SNRIs (Serotonin-Norepinephrin-Wiederaufnahmehemmer), die in der Regel ausprobiert werden, wenn zwei SSRIs nicht gewirkt haben

Diese Medikamente werden zur Behandlung von Depressionen und Angstzuständen eingesetzt, aber sie können auch bei PPPD helfen. Alle wirken auf leicht unterschiedliche Weise. Wenn das erste Medikament nicht wirkt oder zu viele Nebenwirkungen hat, kann dein Arzt vorschlagen, ein anderes auszuprobieren.

Es ist wichtig, mit einer niedrigen Dosis zu beginnen und die Dosis schrittweise zu erhöhen. Informiere deinen Arzt, wenn du irgendwelche Nebenwirkungen hast. In der Regel dauert es 8 bis 12 Wochen, bis die Medikamente zu wirken beginnen. Wenn du ein Medikament findest, das dir bei deinen Symptomen hilft, musst du es vielleicht mehrere Monate lang einnehmen. Setze dein Medikament nicht ab und ändere nicht deine Dosis, ohne mit deinem Arzt zu sprechen.

Einige Medikamente, die zur Behandlung anderer Formen von Schwindel eingesetzt werden, wie z. B. Dimenhydrinat, Betahistin, Beruhigungsmittel und andere Antidepressiva, haben sich bei der Behandlung von PPPD nicht als wirksam erwiesen. Einige von ihnen können sogar deine Genesung verlangsamen. Besprich auf jeden Fall alle Medikamente mit deinem Arzt, auch rezeptfreie und pflanzliche Produkte

 

Therapieoption

Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist eine Form der Psychotherapie. Sie dauert in der Regel relativ kurz und ist auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet.

Die KVT konzentriert sich auf die Beziehung zwischen deinen Gedanken (Kognition) und deinem Verhalten. Zur Kognition gehören deine bewussten Gedanken (die du kontrollieren kannst), deine automatischen Gedanken (die du vielleicht nicht kontrollieren kannst) und deine Kernüberzeugungen (die sogenannten Schemata). In der KVT lernst du, wie du:

  • deine Gedanken und Überzeugungen erkennst und identifizierst
  • deine Gedanken und Überzeugungen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtest
  • deine Verhaltensmuster änderst

Bei PPPD soll die KVT dir helfen:

  • Ängste zu bewältigen
  • Symptome zu bewältigen, wenn sie auftreten
  • Situationen, die Symptome auslösen könnten, nicht länger zu vermeiden
  • Selbstvertrauen zu gewinnen

Einige Studien haben ergeben, dass bereits 3 Sitzungen KVT bei 3 von 4 PPPD-Patienten zu einer Verbesserung der Symptome führen.

Andere Formen der Angstbewältigung wie die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion können bei der PPPD-Behandlung ebenfalls hilfreich sein.

Wie geht es weiter?

Was du in Zukunft erwarten kannst.

Bisher gibt es nicht viel Forschung über die Genesung von PPPD. Die vestibuläre Rehabilitation scheint vielen Menschen mit PPPD zu helfen, vor allem wenn sie mit Patientenaufklärung und/oder Angstbewältigung kombiniert wird.

PPPD-Symptome werden vielleicht nie ganz verschwinden, aber die Fähigkeiten, die du in der vestibulären Rehabilitation und der KVT erlernst, sollten die Symptome lindern und dir helfen, zu deinen normalen Aktivitäten zurückzukehren