Vestibuläre Erkrankung

Autoimmune Innenohrerkrankung

Diese Informationen sind als allgemeine Einführung in dieses Thema gedacht. Da jeder Mensch anders von Gleichgewichts- und Schwindelproblemen betroffen ist, solltest du mit deinem Arzt oder deiner Ärztin sprechen, um dich individuell beraten zu lassen.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird das generische Maskulinum verwendet und auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Die in dieser Patienteninformation verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.

Was ist eine autoimmune Erkrankung des Innenohrs?

Normalerweise schützt uns das Immunsystem vor Krankheitserregern wie Bakterien und Viren. Aber bei einer Autoimmunerkrankung greift das Immunsystem versehentlich körpereigenes Gewebe an. Die autoimmune Innenohrerkrankung tritt auf, wenn das Immunsystem Gewebe im Innenohr angreift. Dies führt oft zu einem sensorineuralen Hörverlust. Bei etwa 1 von 2 Betroffenen treten außerdem Gleichgewichtsprobleme auf.

In den meisten Fällen sind nur die Ohren betroffen. Dies wird als primäre autoimmune Innenohrerkrankung bezeichnet. Manchmal tritt sie aber auch als Teil einer anderen Autoimmunerkrankung auf, die auch den Rest des Körpers betrifft. Dies wird als sekundäre autoimmune Innenohrerkrankung bezeichnet.

Zusammenfassung

Wodurch wird eine autoimmune Innenohrerkrankung verursacht?

Das Immunsystem besteht aus vielen verschiedenen Zellen und Organen, die unseren Körper vor Keimen, Parasiten und anderen schädlichen Einflüssen schützen. Ein Teil der Funktionsweise des Immunsystems besteht darin, zwischen „körpereigenen“ Strukturen und „körperfremden“ Strukturen zu unterscheiden. Spezialisierte Blutzellen, die sogenannten B-Zellen, stellen Proteine her, die Antikörper genannt werden. Diese heften sich an „fremde“ Strukturen und alarmieren andere Teile des Immunsystems, sie anzugreifen.

Manchmal macht das Immunsystem jedoch einen Fehler: Es bildet Antikörper (so genannte Autoantikörper oder „Selbst-Antikörper“), die sich an körpereigene Proteine heften. Normalerweise würde das Immunsystem diese Eigenproteine ignorieren. Aber wenn die Autoantikörper ein Organ oder Gewebe fälschlicherweise als „fremd“ einstufen, sehen andere Teile des Immunsystems es als Bedrohung an und greifen es an. Dies führt zu einer Autoimmunerkrankung. Es gibt viele verschiedene Autoimmunkrankheiten, und viele verschiedene Organe und Gewebe können betroffen sein.

Die Wissenschaft ist noch dabei, die Ursachen von autoimmunen Innenohrerkrankungen zu erforschen. Es ist nicht genau geklärt, warum und wie das Immunsystem das Innenohr als fremd erkennt und es angreift. Der Angriff scheint jedoch Entzündungen und Schäden an der Cochlea (Hörschnecke) und dem Vestibularorgan (dem Gleichgewichtsorgan) zu verursachen.

Von der autoimmunen Innenohrerkrankung sind etwa 15 von 100.000 Menschen betroffen.

Etwa 3 von 10 Fällen sind sekundär. Das heißt, sie werden durch eine Autoimmunerkrankung verursacht, die den ganzen Körper betrifft (systemische Autoimmunerkrankung). Viele verschiedene systemische Autoimmunkrankheiten können eine sekundäre autoimmune Innenohrerkrankung verursachen, darunter:

  • Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew)
  • Morbus Behçet
  • Cogan-Syndrom
  • Rezidivierende Polychondritis
  • Rheumatoide Arthritis
  • Sklerodermie (systemische Sklerose)
  • Sjögren-Syndrom
  • Systemischer Lupus erythematodes
  • Colitis ulcerosa
  • Vitiligo
  • Vogt-Koyanagi-Harada-Syndrom
  • Wegener Granulomatose (Morbus Wegener)

Die autoimmune Innenohrerkrankung verursacht eine sensorineuralen Schwerhörigkeit, die in der Regel plötzlich auftritt und sich über 3 Tage bis 3 Monate verschlimmert. Der Hörverlust kann zunächst nur ein Ohr betreffen. Oft fluktuiert er, wird schlimmer und breitet sich mit der Zeit auf das andere Ohr aus. Manche Menschen haben auch Tinnitus oder ein Völlegefühl in den Ohren.

Etwa die Hälfte der Patienten hat auch vestibuläre Störungen, wie z.B.:

  • Drehschwindel; in manchen Fällen tritt dies nur auf, wenn sich der Kopf in einer bestimmten Position befindet (Lagerungsschwindel) oder es kann kommen und gehen (episodischer Schwindel)
  • Gangunsicherheit oder Gleichgewichtsstörungen
  • Probleme mit der Muskelkontrolle und Koordination (Ataxie)

Diagnose der autoimmunen Innenohrerkrankung

Autoimmune Innenohrerkrankungen können von einem auf Schwindel spezialisierten Neuro-Otologen oder HNO-Arzt diagnostiziert werden. Diese spezialisierten Ärzte werden eine gründliche Anamnese erheben, eine neurologische Untersuchung und verschiedene Tests, um die Funktion deines vestibulären Systems zu beurteilen, durchführen.

Du wirst wahrscheinlich einige der folgenden diagnostischen Tests machen:

  • Hörtests
  • Vestibuläre Funktionsuntersuchung
  • Bluttests
  • Bildgebung (MRT-Scans)

Einige dieser Tests werden durchgeführt, um andere Gesundheitsprobleme auszuschließen. Andere Erkrankungen können die gleichen Symptome wie eine autoimmune Innenohrerkrankung verursachen. Daher müssen alle Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, bevor eine Diagnose gestellt wird. Der Arzt wird wahrscheinlich nach einem Muster von Testergebnissen und deiner Krankengeschichte suchen (wie sich dein Zustand im Laufe der Zeit entwickelt und verändert hat).

Oft werden immununterdrückende Medikamente wie Steroide anschließend verschrieben. Wenn sich deine Symptome unter der Behandlung bessern, kann das helfen, die Diagnose einer autoimmunen Innenohrerkrankung zu stellen. Aber diese Medikamente helfen nicht immer.

Es wird immer noch über die Definition von autoimmunen Innenohrerkrankungen diskutiert und darüber, wie man sie am besten diagnostiziert. Eine Gruppe hat die folgenden Haupt- und Nebenkriterien vorgeschlagen. Die Gruppe schlägt vor, dass die Diagnose gestellt werden kann, wenn der Patient mindestens drei der Hauptkriterien ODER zwei Hauptkriterien und mindestens zwei Nebenkriterien erfüllt. Diese Kriterien werden jedoch nicht von allen Ärzten verwendet.

Vorgeschlagene Hauptkriterien:

  • bilateraler (beidseitiger) Hörverlust
  • systemische Autoimmunerkrankung
  • ein hoher Wert einer Art von Autoantikörpern, die antinuklearen Antikörper genannt werden
  • niedrigere Werte bestimmter weißer Blutkörperchen, der sogenannten T-naiven Lymphozyten
  • mehr als 80 % Wiederherstellung des Hörvermögens bei Behandlung

 

Vorgeschlagene Nebenkriterien:

  • unilateraler (einseitiger) Hörverlust
  • junger oder mittelalter Patient
  • weibliche Patienten
  • weniger als 80 % Wiederherstellung des Gehörs mit der Behandlung

Behandlung von autoimmunen Innenohrerkrankungen

Die Behandlung ist kompliziert. Es kann sein, dass du mehrere Spezialisten aufsuchen musst, darunter einen HNO-Arzt oder einen Rheumatologen. Die Behandlung besteht in der Regel aus Medikamenten und Hörtests, um festzustellen, ob die Behandlung anschlägt. Wenn die Medikamente nicht helfen und dein Hörverlust zu stark wird, kann dein HNO-Arzt ein Hörgerät und später ein Cochlea-Implantat empfehlen.

Therapieoption

Kortikosteroide

Der Arzt wird dir wahrscheinlich zunächst ein hochdosiertes Steroid (wie z.B. Prednison) für mindestens vier Wochen verschreiben. Steroide unterdrücken das Immunsystem und reduzieren Entzündungen. Diese Behandlung kann bei einigen Menschen mit einer autoimmunen Innenohrerkrankung den Hörverlust rückgängig machen, aber nicht bei allen.

Wenn die Steroidbehandlung hilft, sollten die Medikamente über einen längeren Zeitraum eingenommen werden, bevor die Dosis über Tage oder Wochen langsam reduziert wird. Menschen mit einer systemischen Autoimmunerkrankung müssen Steroide wahrscheinlich mindestens ein Jahr lang einnehmen. Steroide können jedoch Nebenwirkungen haben, wenn sie über einen langen Zeitraum hochdosiert eingenommen werden. Daher muss dein Arzt ein Gleichgewicht zwischen der Behandlung der autoimmunen Innenohrerkrankung und dem Umgang mit den Nebenwirkungen finden.

Steroide können anfangs etwa 7 von 10 Menschen mit einer autoimmunen Innenohrerkrankung helfen. Mit der Zeit helfen Steroide jedoch immer weniger Menschen. Einige Studien haben ergeben, dass nur etwa 14 % der Betroffenen langfristig von einer Steroidbehandlung profitieren.

Therapieoption

Immunsuppressive Medikamente

Wenn Steroide nicht wirken, kann dein Arzt ein Medikament vorschlagen, welches das Immunsystem unterdrückt, wie z. B. Cyclophosphamid. Cyclophosphamid kann bei der Behandlung von einer autoimmunen Innenohrerkrankung helfen, aber es kann ernsthafte Nebenwirkungen haben, wie Infektionen, Blasenkrebs oder Unfruchtbarkeit.

Es gibt viele andere immunsupprimierende oder immunmodulierende Medikamente, die zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen eingesetzt werden. Es wird aktuell erforscht, ob diese Medikamente auch bei einer autoimmunen Innenohrerkrankung wirksam sind.

Therapieoption

Hörtests

Während der Behandlung musst du regelmäßig Hörtests (Audiometrie) durchführen lassen, um festzustellen, ob sich dein Gehör verbessert oder verschlechtert. Du musst diese Tests oft wiederholen, bis sich dein Gehör stabilisiert hat.

 

 

 

Therapieoption

Vestibuläre Rehabilitation & Umgang mit Schwindel und Gleichgewichtssymptomen

Wenn du Schwindel und/oder Gleichgewichtsprobleme hast, werden von Zeit zu Zeit Tests zur Kontrolle der vestibulären Funktion durchgeführt. Dein Behandlungsteam kann dir auch Manöver gegen Lagerungsschwindel oder eine vestibuläre Rehabilitation empfehlen, wenn du sie brauchst.

Wie geht es weiter?

Was du in Zukunft erwarten kannst.

Einige Forscher arbeiten an neuen Behandlungsmethoden, darunter Gentherapie und die direkte Injektion von entzündungshemmenden Medikamenten (wie Steroiden) in das Innenohr. Es wird aber wahrscheinlich noch einige Jahre dauern, bis diese Behandlungen zur Verfügung stehen. Es muss sorgfältig untersucht werden, dass sie wirksam und sicher sind.

 

Um diese Patienteninformation möglichst kurz zu halten, haben wir auf eine detaillierte Referenzliste verzichtet. Diese kann aber jederzeit unter info@ivrt.de angefordert werden.