Vestibuläre Erkrankung
Mal de Débarquement Syndrom
Diese Informationen sind als allgemeine Einführung in dieses Thema gedacht. Da jeder Mensch anders von Gleichgewichts- und Schwindelproblemen betroffen ist, solltest du mit deinem Arzt oder deiner Ärztin sprechen, um dich individuell beraten zu lassen.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird das generische Maskulinum verwendet und auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Die in dieser Patienteninformation verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.

Was ist das Mal de Débarquement Syndrom?
„Débarquement“ ist das französische Wort für „Aussteigen“. Hiermit ist das Verlassen eines Schiffes, Zuges oder Flugzeuges gemeint. „Mal de Débarquement“ bedeutet daher „Krankheit des Ausschiffens“. Es wird auch „Landkrankheit“ genannt, also das Gegenteil von Seekrankheit. Wenn du schon einmal aus einem Zug, einem Schiff oder einem Auto ausgestiegen bist und das Gefühl hattest, dass der Boden unter deinen Füßen schwankt, hast du das Mal de Débarquement erlebt.
Bei den meisten Menschen hält dieses Gefühl nur ein paar Minuten oder Stunden an. Bei manchen Menschen kann es auch ein paar Tage oder sogar Wochen anhalten. Aber bei manchen Menschen wird das Gefühl chronisch und hält einen Monat oder länger an. Das wird als Mal de Débarquement Syndrom (MdDS) bezeichnet.
Die Forscher sind sich nicht sicher, wie viele Menschen MdDS haben. Etwa 4 von 5 Menschen mit MdDS sind Frauen, und das Syndrom tritt häufig zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr auf. Es kann lange dauern, bis MdDS diagnostiziert wird, was für Betroffene sehr frustrierend sein kann. Es kann die Arbeit und das tägliche Leben stark beeinträchtigen.
MdDS wurde 1987 als Krankheit definiert, aber die Symptome wurden bereits vor Jahrhunderten beschrieben.
Zusammenfassung
- Bedeutet "Krankheit des Ausschiffens".
- Wird normalerweise durch eine lange Reise in einem Boot, Auto, Zug oder Flugzeug ausgelöst.
- Am häufigsten sind Frauen mittleren Alters betroffen.
- Ist nicht dasselbe wie die Reisekrankheit.
- Das Hauptsymptom ist ein ständiges Gefühl der Bewegung, außer bei passiver Bewegung, z. B. in einem fahrenden Auto.
- Die Ursache für die Entstehung der Krankheit ist noch nicht klar. Es gibt viele verschiedene Hypothesen.
- In der Regel handelt es sich um eine chronische Erkrankung, die Wochen, Monate oder sogar Jahre andauert.
- Die Behandlung umfasst bestimmte Medikamente und vestibuläre Rehabilitation.
- Zu den experimentellen Behandlungsmethoden gehören das VOR-Protokoll und die ‚Hirnstimulation‘ (genauer ‚Transkranielle Magnetstimulation‘).
Wodurch wird das Mal de Débarquement Syndrom verursacht?
Die eigentliche Ursache von Mal de Débarquement Syndrom ist nicht klar. Wissenschaftler haben verschiedene Theorien über die Ursachen von MdDS, darunter:
- Ein Problem mit dem vestibulo-okulären Reflex (VOR)
- Ein Zusammenhang mit dem Hormonspiegel
- Eine Form der vestibulären Migräne
Die Ursachen werden noch untersucht. Es ist möglich, dass mehrere verschiedene Faktoren zu MdDS beitragen.
Theorie: VOR-Probleme
Das Gleichgewichtssystem des Gehirns kombiniert Informationen aus vielen verschiedenen Quellen, darunter:
- Das vestibuläre System (die Bogengänge und Maculaorgane im Innenohr), welches Kopfbewegungen und Geschwindigkeitsänderungen der Kopfbewegung wahrnimmt
- Das visuelle System, d. h. die Augen
- Das propriozeptive System, welches Signale über Position, Druck, Bewegung und Vibration von den Beinen und Füßen und dem Rest des Körpers an das Gehirn sendet
Die Informationen aus diesen Systemen werden vom vestibulo-okulären Reflex (VOR) genutzt. Dieser Reflex sorgt dafür, dass deine Augen ruhig bleiben, auch wenn sich dein Kopf bewegt. So kannst du dich zum Beispiel auf die Wörter auf dieser Seite konzentrieren, auch wenn du mit dem Kopf auf und ab nickst oder ihn hin und her drehst. Und wenn du gehst, hält der VOR deine Sicht stabil, während dein Kopf auf und ab wippt.
Einige Forscher glauben, dass MdDS entsteht, wenn du deinen Kopf von einer Seite zur anderen drehst, während dein Körper wippt. Sie glauben, dass der VOR als Reaktion auf widersprüchliche Signale des vestibulären und visuellen Systems sich falsch anpasst. Dies wird auch ‚Maladaptation‘ genannt.
Theorie: Hormonelle Faktoren
Das Mal de Débarquement Syndrom tritt häufig in den Wechseljahren auf oder wenn eine Frau ihre Periode hat oder hormonelle Verhütungsmittel absetzt. Bei vielen Frauen sind die Symptome während der Menstruation schlimmer und während der Schwangerschaft besser. All diese Faktoren deuten darauf hin, dass Veränderungen des Hormonspiegels, insbesondere ein niedriger Östrogenspiegel, ein Faktor bei MdDS sein könnten. Forscher sind noch dabei, diese Theorie zu untersuchen und herauszufinden, was sie für die Behandlung von MdDS bedeuten könnte.
Theorie: Vestibuläre Migräne
Viele Menschen mit Mal de Débarquement Syndrom haben auch Migräne. Eine Studie ergab, dass ungefähr 30 % der Menschen mit MdDS auch Migräne hatten. Viele der MdDS-Symptome ähneln den Symptomen von Migräne, darunter Lichtempfindlichkeit, Übelkeit und Kopfschmerzen. Aus diesen Gründen glauben einige Forscher, dass MdDS eine Art von Migräne sein könnte.
Die Hauptsymptome von Mal de Débarquement Syndrom sind Gefühle von ständigem Schaukeln, Wippen, Schwanken sowie Gleichgewichtsstörungen, unabhängig davon, ob die Person geht, steht oder liegt. Ein Hauptmerkmal von MdDS ist, dass sich diese Symptome oft bessern, wenn sich die betroffene Person passiv bewegt, z. B. in einem fahrenden Auto oder Boot. Dann kehren die Symptome wieder zurück, wenn die Person wieder auf festem Boden steht.
Menschen mit MdDS haben oft auch noch andere Symptome, z. B:
- Empfindlichkeit gegenüber Licht (Photophobie)
- Kopfdruck
- Kopfschmerzen
- Übelkeit
- "Gehirnnebel" (Englisch: „Brain Fog“) oder Schwierigkeiten beim Denken
- Desorientiertheit
- Migräne
- Müdigkeit
- Schlaflosigkeit bzw. Schlafstörungen
- Meiden von großen, leeren Räumen (Agoraphobie)
Angstzustände oder Depressionen
Diagnose des Mal de Débarquement Syndrom
Die Diagnose von Mal de Débarquement Syndrom ist oft langwierig und erfordert viele Arzttermine. Das kann sehr frustrierend sein.
MdDS kann von einem auf Schwindel spezialisierten Neuologen oder HNO-Arzt diagnostiziert werden. Diese spezialisierten Ärzte werden eine gründliche Anamnese erheben, eine neurologische Untersuchung und verschiedene Tests, um die Funktion deines vestibulären Systems zu beurteilen, durchführen.
Du kannst einige der folgenden diagnostischen Tests durchführen lassen:
- Vestibuläre Funktionsuntersuchung
- Gleichgewichtstests
- Bildgebung (MRT-Scan)
Bei Menschen mit MdDS zeigen diese Tests normalerweise keine Auffälligkeiten.
Behandlung des Mal de Débarquement Syndrom
Das Mal de Débarquement Syndrom verschwindet oft von selbst innerhalb von 6 Monaten oder weniger. Dein Arzt kann dir Medikamente empfehlen, damit du dich in dieser Zeit wohler fühlst. Manche Menschen finden auch, dass Meditation, psychologische Beratung, eine gute Schlafhygiene und/oder Stressminderung in ihrem Leben bei ihren Symptomen helfen. Manchmal sind Lebensstiländerungen, die bei Migräne helfen, auch bei MdDS hilfreich.
Physiotherapie allgemein scheint einigen Menschen mit MdDS zu helfen (56 % in einer Studie). Die vestibuläre Rehabilitation scheint ebenfalls einigen Menschen mit MdDS zu helfen (etwa 38 %). In derselben Studie wurde festgestellt, dass die vestibuläre Rehabilitation die Symptome einiger Menschen teils verschlimmerte.
Da wir nicht viel über die Ursachen von MdDS wissen, werden derzeit immer noch mehrere Behandlungsmethoden untersucht, um die beste Behandlungsmethoden zu finden.
Therapieoption

Medikamente
Es gibt verschiedene Medikamente gegen das Mal de Débarquement Syndrom. Diese Medikamente verbessern oft die Stimmung und die Lebensqualität der Betroffenen, auch wenn sie nicht gegen die Erkrankung selbst helfen. Dazu gehören:
- Benzodiazepine wie Clonazepam. Allerdings besteht bei diesen Medikamenten die Gefahr einer Abhängigkeit!
- Antidepressiva wie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs), SSRIs in Kombination mit Serotonin-Norepinephrin-Wiederaufnahmehemmern (SNRIs) und trizyklische Antidepressiva
- Antikonvulsiva
- Kalziumkanalblocker
- Medikamente, die bei Migräne eingesetzt werden
- Bestimmte Medikamente, die zur Behandlung der Reisekrankheit eingesetzt werden, so genannte Antivertiginosa, sind bei MdDS nicht hilfreich.
Therapieoption

Vestibuläre Rehabilitation
Die vestibuläre Rehabilitation ist eine Übungstherapie. Ihr Ziel ist es, deinem Gehirn zu helfen, die Gleichgewichtskontrolle wieder zu erlernen und auf die Signale des visuellen und vestibulären Systems zu reagieren. Ein zertifizierter IVRT® Schwindel- und Vestibular-Therapeut kann dir helfen, Behandlungsziele festzulegen und ein geeignetes Programm zu erstellen. Manche Menschen stellen jedoch fest, dass die vestibuläre Rehabilitation ihre Symptome verschlimmert, anstatt sie zu verbessern.
Es ist sehr wichtig, schrittweise mit den Übungen zu beginnen und sie langsam und stetig zu steigern. Die Behandlung kann sich über mehrere Monate erstrecken.
Therapieoption

Experimentelle Behandlungen
Zu den Behandlungen für das Mal de Débarquement Syndrom, die noch untersucht werden, gehören das VOR-Protokoll und die Hirnstimulation.
Mit dem VOR-Protokoll wird versucht, den vestibulo-okulären Reflex „zurückzusetzen“. Dabei werden mit speziellen Geräten vertikale schwarze und weiße Streifen projiziert, die sich ständig seitwärts bewegen (ein optokinetischer Reiz). Die Person mit MdDS beobachtet diese Streifen, während eine medizinische Fachkraft den Kopf in der gleichen Geschwindigkeit wie die Schaukelsymptome von einer Seite zur anderen dreht. Jede Sitzung dauert etwa 3 bis 5 Minuten, und die Betroffenen nehmen 1 bis 8 Sitzungen pro Tag über einen Zeitraum von bis zu 5 Tagen in Anspruch. Dieses Verfahren scheint vielen Menschen zu helfen, die es ausprobieren, aber manche stellen fest, dass ihre Symptome irgendwann wiederkommen. Diese Behandlung wird noch erforscht und wird nur in spezialisierten Zentren, hauptsächlich in den USA, angeboten.
Die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) ist eine Form der Hirnstimulation, die für viele verschiedene Erkrankungen wie Migräne, Tinnitus und Depressionen untersucht wird. Ein Gerät leitet eine Reihe von kurzen magnetischen Impulsen an einen bestimmten Bereich des Gehirns. Dadurch wird die Funktionsweise der Neuronen in diesem Bereich verändert. Diese Behandlung ist für MdDS noch experimentell.
Therapieoption

Wiederauftreten
Das Mal de Débarquement Syndrom kann manchmal zurückkehren (rezidivieren), nachdem es verschwunden ist. Einige Forscher empfehlen, vor und während langer Auto-, Schiffs-, Zug- oder Flugreisen sehr niedrigdosiert Benzodiazepine einzunehmen, um dies zu verhindern. Dies wurde jedoch noch nicht offiziell in einer klinischen Studie untersucht.
Wie geht es weiter?
Was du in Zukunft erwarten kannst.
Wir wissen immer noch sehr wenig über das Mal de Débarquement Syndrom. Wissenschaftler untersuchen viele Aspekte von Mal de Débarquement Syndrom, darunter:
- Wodurch es verursacht wird
- Warum Frauen in den Wechseljahren oder während ihrer Menstruation ein höheres Risiko haben
- Warum viele Menschen nach einer MdDS-Erkrankung veränderte Denkprozesse (Kognition) aufweisen
- Die Rolle anderer verwandter Erkrankungen wie visuell induziertem Schwindel, vestibuläre Migräne und Depression
- Wie das Mal de Débarquement Syndrom am besten behandelt wird
- Warum es manchmal wiederkehrt
Um diese Patienteninformation möglichst kurz zu halten, haben wir auf eine detaillierte Referenzliste verzichtet. Diese kann aber jederzeit unter info@ivrt.de angefordert werden.